"We all want to change the World or at least we all should!"
Liebes Blog,
Teil 4, Teil 4 ... hier!
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Mondscheintarif
An den Landungsbrücken raus. Nicht nur ein toller Song der Band Kettcar, sondern auch mein erklärtes nächstes Handlungsziel als ich in die S-Bahn einstieg. Jede S-Bahnfahrt war für mich als gebürtiges Landei natürlich immer wieder ein Erlebnis und ich nahm das Urin-Exkremente-Stickigkeits-Gemisch mit dem die Luft in den zwielichtigen Katakomben der Unterführungen geschwängert war eher als Duft der großen weiten Welt war als als die ekelhafte Nasenpenetration, die es in Wirklichkeit darstellte. Immerhin, ein Penner ist schließlich ein Penner und das bedeutet, dass er schon mal keine Kuh ist. Denn Kühe hatte ich wahrlich genug gesehen, in meinem bisherigen schwäbischen Kuhdorfleben. Gemütlicher, langweiliger und konservativer würde es vielleicht höchstens in einem Hardcore-Heimatfilm mit Peter Alexander, Hansi Hinterseer und Marianne und Michael als Ein-Person-Mutanten-Zombie zugehen. Da weiß eben jeder, ob und wie viele Muttermale über der Poritze der jeweils andere Dorfbewohner vorzuweisen hat. Und besonders, wenn einem Dinge passieren, wie sie mir in der letzten Zeit passiert sind, entwickelt man sich schnell zur Dorfeigenen Sehens- und Drüberredenswürdigkeit. Ein Grund mehr in der grenzenlosen Anonymität eines kulturellen Schmelzpottes wie diesem Zuflucht zu suchen. Hier interessierte sich niemand für die Poritzenmuttermalsituation des anderen. Und falls doch, dann wurde wenigstens Geld für die Bereitstellung dieser Information geboten.
Die Landungsbrücken. Irgendwie zog dieser Ort mich magisch an, an diesem Tag. Etwas in mir wurde nicht müde vorzuschlagen dort nach einer Bleibe für die nächsten Tage zu suchen, bis ich einen festen Wohnsitz gefunden hatte. Das könne ja in einer Stadt mit dermaßen vielen Häusern kein Problem darstellen, redete ich mir die Situation selbst ein wenig schöner. Ehrlich gesagt weiß ich bis zum heutigen Tag nicht, was Landungsbrücken eigentlich sind. Der Name an sich schmeißt ja nicht gerade mit hochprozentigem Informationsgehalt um sich. Landungsbrücken ... nur was könnte da Landen? Flugzeuge laden schließlich auf dem Flughafen. Vielleicht eine Racheaktion diverser Hochrangiger Bootsführerscheininhaber, die sich damit für den unrechtmäßigen Diebstahl ihres Wortes "Hafen" revanchiert haben, indem sie den Piloten das Wort "Landung" klauten. Ich jedenfalls war unabstreitbar an den Landungsbrücken gelandet. Nachdem mir der Grätenklumpen endgültig den Appetit verdorben hatte, schaltete sich kurz nach dem Straßenbahnausstieg Existenzbedürfnis Numero zwei ein: Der Drang nach Schlaf.
Als ich den langsam pigmentierenden Hamburger Abendhimmel vor mir sah, musste ich spontan an Maria denken. Egal, was sie gerade auch immer machte, sie würde dabei sicherlich keinen Gedanken an mich verschwenden. Eigentlich schade, dass ich, nach allem, was ich für sie getan habe nicht mal mehr als winzige Gedakenüberbrückung zwischen "Was ziehe ich heute an?" und "Ich muss auf die Toilette!" tauge. Wenn sie jetzt hier gewesen wäre, hätte sie mir sicherlich versucht, die Sternbilder zu erläutern, die in diesem frühen Stadium des Nachthimmels wohl niemand außer Maria am Firmament erkennen konnte. Ich konnte mir noch nie merken, wo der große Wagen sich befand. Jedes Mal, wenn ich Maria beweisen wollte, dass ich ihr bei ihren unendlich langen Ausführungen zum Thema Astronomie wirklich zugehört habe und das mit einem gekonnten Zeig auf den großen Wagen manifestieren wollte, war dieser plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Tanken, vermutlich oder gar beim TÜV.
Wenigstens fiel der Mond an diesem Abend in mein Blickfeld und auch wenn es sich nicht um den echten handelte, war er mir doch von großem Nutzen. Er leuchtete in dreckigem orange und vermutlich nur 1/10000000 so hell wie sein großes Vorbild, aber dennoch wies er mich auf das Hotel Mond hin, mit welchem er offensichtlich einen Werbevertrag abgeschlossen hatte. An den Fenstern hingen Schilder, die Aufschriften wie "Nur 15 Euro pro Nacht" oder "Frühstück zum Mondscheintarif" trugen. Ich besprach die Sache mit meinem Geldbeutel und wir waren uns einig, dass unser Ekel die Nacht draußen und wir zwei die Nacht drinnen verbringen sollten. Obwohl das äußere Erscheinungsbild des Hotels keinen sonderlich gewaltigen Grund zur Besorgnis bot, konnte man natürlich ahnen, dass man bei diesen Preisen in Hamburg Mitte nicht unbedingt Udo Lindenberg auf dem Hotelflur begegnen würde (obwohl ich mir zum damaligen Zeitpunkt gar nicht so sicher war, wie denn dessen finanzielle Lage so aussah). Andererseits musste man sich natürlich berechtigterweise auch fragen, ob man Udo Lindenberg denn wirklich im Hotelflur begegnen wollte. Auf ein locker aus der alten Hüfte geschossenes "Ey, alles kliro-klaro Roccomat?" kurz vor dem nächtlichen Klogang hatte ich nun wirklich keine Lust.
An der Rezeption empfing mich ein magerer Herr mittleren Alters, der ein wenig den Eindruck erweckte, als würde er nicht nur die Kleider, sondern auch den Seitenscheitel seines Urgroßvaters auftragen. "Empfing" war in diesem Zusammenhang wohl auch nicht das richtige Wort. Im Grunde genommen wies er mich verbal darauf hin, dass ich im Moment nicht in sein eng geknüpftes Zeitmanagementkonzept passe. Er hielt sich einen Telefonhörer ans Ohr und rannte wild gestikulierend in seinem kleinen Rezeptionskäfig umher, wie ein zahnloser Tiger, der das Fell seines Großvaters auftragen musste. Dabei klang er zu keiner Sekunde so, als würde er sich gerade mit einem Kunden unterhalten.
Nach einer halben Ewigkeit Wartezeit wandte sich der mir inzwischen schon abnormal unsympathische Herr meiner Wenigkeit zu und hieß mich mit einem halb durch die Nase gerotzten "Hm?" willkommen. Hm?! Was sollte das denn bitte?! "Hm" würde ich persönlich zu einem drogenabhängigen Gossenpenner mit mehr Piercings und Tatoos als Haut sagen, wenn mir dieser mit warmem Strahl gegen die Jacke pissen würde - und selbst dann würde ich noch ein schlechtes Gewissen haben. Mir kam der Gedanke, dass der arme Rezeptionist diesen eben geschilderten Fall wohl schon so oft erlebt haben musste, dass er inzwischen nicht mehr zwischen "Penner pisst mich voll" und "Kunde möchte gerne gegen Bezahlung in dem Etablissment nächtigen, für das ich arbeite" unterscheiden konnte. Vermutlich sind beide Fälle auch schon vermehrt gleichzeitig aufgetreten. Das wäre in dieser Gegend hier sicher nichts Unvorstellbares.
So schluckte ich meinen Ärger einfach hinunter (war ja noch genug Platz im Magen) und trug brav mein Anliegen vor. Der Herr hackte ein Weilchen auf seine Tastatur und schmiss kurz darauf, begleitet von einem bestätigenden Grunzlaut, einen Zettel mit einem Zahlencode auf den Rezeptionstisch. "Dritter Stock, den Gang ganz durch laufen, dann letzte Tür rechts. Frühstück gibt’s von sieben bis acht" nuschelte in seinen nicht vorhandenen Bart. Ich verzichtete auf eine Antwort, nahm den Zettel und erklomm die Treppen zum dritten Stock. Ob so ein Zahlencode wohl sicherer war als der obligatorische Hotelschlüssel? Ob sie die Zahlencodes wohl wirklich jedes Mal änderten, wenn ein Gast das Hotel verließ? Der Rezeptionist sah jedenfalls nicht so aus, als hätte er sich jemals dazu aufraffen können. Ich beschloss diese Gedankengänge besser bis morgen vor mir her zu schieben. Das gleiche hatte ich mit der Besichtigung und Benutzung der einzigen Toilette im Gang geplant. Ich würde sie erst betreten, wenn ich von ärztlicher Seite her bestätigt bekäme, dass ansonsten meine Nieren platzen.
Das Zimmer enttäuschte meine schlimmsten Befürchtungen dann schon ziemlich. Sah eigentlich alles recht ordentlich aus und es stand nicht mal etwas in Flammen. Das Zimmer hatte mindestens stolze 8 Quadratmeter vorzuweisen und war mit einem Bett, einem Sperrholzschrank, einem Waschbecken und einem Stuhl ausgestattet. Ein Fenster gab es darin auch, jedoch deprimierte der Anblick des müllüberschäumten Hinterhofs einen noch mehr als die kargen bilderlosen Wände des Zimmers. Demonstrativ hob ich meinen Trolli auf des für mich viel zu kleine Bett, öffnete den Reißverschluss und betrachtete den Inhalt. Ein Laptop, zwei paar Socken, ein Hemd, zwei T-Shirts, eine Jeans, der Kulturbeutel, meine externe Festplatte, ein Block, ein Stift, mein iPod inklusive Ladegerät, meine Fotokamera und ein Brief. Die einzigen Trümmer, die es Wert waren in mein neues Leben mitgenommen zu werden. Vielleicht ließe sich ja aus diesen Puzzleteilen ein neues Leben zusammenbauen.
Ich kramte die Zahnbürste und die Zahnpaste aus dem Kulturbeutel und setzte den Kofferinhalt wieder der Dunkelheit aus. Nachdem die Zähne brav gereinigt und die Hose ohne Zuhilfenahme der Hände in die Ecke geschleudert wurde, legte ich mich in das Bett. Es ist ein sehr unangenehmes Gefühl beim Versuch die Beine zu strecken auf halbem Wege auf das Bettende zu treffen. Ein Schicksal, das wir großen Menschen wohl immer und immer wieder erleiden müssen. Ich stellte meinen Handywecker auf 7 Uhr und bemerkte bei der Gelegenheit, dass darauf zwölf unbeantwortete Anrufe angezeigt wurden. Alle von meiner Schwester. Auch wenn die Gewissensbisse immer mal wieder wie kurzfristige Strohfeuer durch mein Innerstes fegten, hielt ich meine Entscheidung niemandem etwas von meiner Abreise zu erzählen, für richtig. Es gab ja auch noch gar nichts zu erzählen. Mit ein paar verschluckten Fischgräten lies sich in Zeiten des nachrichtentechnischen Dauerkriegsbilderbombardement kaum jemand vorm Ofen vorlocken. So sollten sie also alle hinterm Ofen hocken bleiben und mich schlafen lassen. Sonst würde das nichts mehr werden, mit dem Melden
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Mondscheintarif
An den Landungsbrücken raus. Nicht nur ein toller Song der Band Kettcar, sondern auch mein erklärtes nächstes Handlungsziel als ich in die S-Bahn einstieg. Jede S-Bahnfahrt war für mich als gebürtiges Landei natürlich immer wieder ein Erlebnis und ich nahm das Urin-Exkremente-Stickigkeits-Gemisch mit dem die Luft in den zwielichtigen Katakomben der Unterführungen geschwängert war eher als Duft der großen weiten Welt war als als die ekelhafte Nasenpenetration, die es in Wirklichkeit darstellte. Immerhin, ein Penner ist schließlich ein Penner und das bedeutet, dass er schon mal keine Kuh ist. Denn Kühe hatte ich wahrlich genug gesehen, in meinem bisherigen schwäbischen Kuhdorfleben. Gemütlicher, langweiliger und konservativer würde es vielleicht höchstens in einem Hardcore-Heimatfilm mit Peter Alexander, Hansi Hinterseer und Marianne und Michael als Ein-Person-Mutanten-Zombie zugehen. Da weiß eben jeder, ob und wie viele Muttermale über der Poritze der jeweils andere Dorfbewohner vorzuweisen hat. Und besonders, wenn einem Dinge passieren, wie sie mir in der letzten Zeit passiert sind, entwickelt man sich schnell zur Dorfeigenen Sehens- und Drüberredenswürdigkeit. Ein Grund mehr in der grenzenlosen Anonymität eines kulturellen Schmelzpottes wie diesem Zuflucht zu suchen. Hier interessierte sich niemand für die Poritzenmuttermalsituation des anderen. Und falls doch, dann wurde wenigstens Geld für die Bereitstellung dieser Information geboten.
Die Landungsbrücken. Irgendwie zog dieser Ort mich magisch an, an diesem Tag. Etwas in mir wurde nicht müde vorzuschlagen dort nach einer Bleibe für die nächsten Tage zu suchen, bis ich einen festen Wohnsitz gefunden hatte. Das könne ja in einer Stadt mit dermaßen vielen Häusern kein Problem darstellen, redete ich mir die Situation selbst ein wenig schöner. Ehrlich gesagt weiß ich bis zum heutigen Tag nicht, was Landungsbrücken eigentlich sind. Der Name an sich schmeißt ja nicht gerade mit hochprozentigem Informationsgehalt um sich. Landungsbrücken ... nur was könnte da Landen? Flugzeuge laden schließlich auf dem Flughafen. Vielleicht eine Racheaktion diverser Hochrangiger Bootsführerscheininhaber, die sich damit für den unrechtmäßigen Diebstahl ihres Wortes "Hafen" revanchiert haben, indem sie den Piloten das Wort "Landung" klauten. Ich jedenfalls war unabstreitbar an den Landungsbrücken gelandet. Nachdem mir der Grätenklumpen endgültig den Appetit verdorben hatte, schaltete sich kurz nach dem Straßenbahnausstieg Existenzbedürfnis Numero zwei ein: Der Drang nach Schlaf.
Als ich den langsam pigmentierenden Hamburger Abendhimmel vor mir sah, musste ich spontan an Maria denken. Egal, was sie gerade auch immer machte, sie würde dabei sicherlich keinen Gedanken an mich verschwenden. Eigentlich schade, dass ich, nach allem, was ich für sie getan habe nicht mal mehr als winzige Gedakenüberbrückung zwischen "Was ziehe ich heute an?" und "Ich muss auf die Toilette!" tauge. Wenn sie jetzt hier gewesen wäre, hätte sie mir sicherlich versucht, die Sternbilder zu erläutern, die in diesem frühen Stadium des Nachthimmels wohl niemand außer Maria am Firmament erkennen konnte. Ich konnte mir noch nie merken, wo der große Wagen sich befand. Jedes Mal, wenn ich Maria beweisen wollte, dass ich ihr bei ihren unendlich langen Ausführungen zum Thema Astronomie wirklich zugehört habe und das mit einem gekonnten Zeig auf den großen Wagen manifestieren wollte, war dieser plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Tanken, vermutlich oder gar beim TÜV.
Wenigstens fiel der Mond an diesem Abend in mein Blickfeld und auch wenn es sich nicht um den echten handelte, war er mir doch von großem Nutzen. Er leuchtete in dreckigem orange und vermutlich nur 1/10000000 so hell wie sein großes Vorbild, aber dennoch wies er mich auf das Hotel Mond hin, mit welchem er offensichtlich einen Werbevertrag abgeschlossen hatte. An den Fenstern hingen Schilder, die Aufschriften wie "Nur 15 Euro pro Nacht" oder "Frühstück zum Mondscheintarif" trugen. Ich besprach die Sache mit meinem Geldbeutel und wir waren uns einig, dass unser Ekel die Nacht draußen und wir zwei die Nacht drinnen verbringen sollten. Obwohl das äußere Erscheinungsbild des Hotels keinen sonderlich gewaltigen Grund zur Besorgnis bot, konnte man natürlich ahnen, dass man bei diesen Preisen in Hamburg Mitte nicht unbedingt Udo Lindenberg auf dem Hotelflur begegnen würde (obwohl ich mir zum damaligen Zeitpunkt gar nicht so sicher war, wie denn dessen finanzielle Lage so aussah). Andererseits musste man sich natürlich berechtigterweise auch fragen, ob man Udo Lindenberg denn wirklich im Hotelflur begegnen wollte. Auf ein locker aus der alten Hüfte geschossenes "Ey, alles kliro-klaro Roccomat?" kurz vor dem nächtlichen Klogang hatte ich nun wirklich keine Lust.
An der Rezeption empfing mich ein magerer Herr mittleren Alters, der ein wenig den Eindruck erweckte, als würde er nicht nur die Kleider, sondern auch den Seitenscheitel seines Urgroßvaters auftragen. "Empfing" war in diesem Zusammenhang wohl auch nicht das richtige Wort. Im Grunde genommen wies er mich verbal darauf hin, dass ich im Moment nicht in sein eng geknüpftes Zeitmanagementkonzept passe. Er hielt sich einen Telefonhörer ans Ohr und rannte wild gestikulierend in seinem kleinen Rezeptionskäfig umher, wie ein zahnloser Tiger, der das Fell seines Großvaters auftragen musste. Dabei klang er zu keiner Sekunde so, als würde er sich gerade mit einem Kunden unterhalten.
Nach einer halben Ewigkeit Wartezeit wandte sich der mir inzwischen schon abnormal unsympathische Herr meiner Wenigkeit zu und hieß mich mit einem halb durch die Nase gerotzten "Hm?" willkommen. Hm?! Was sollte das denn bitte?! "Hm" würde ich persönlich zu einem drogenabhängigen Gossenpenner mit mehr Piercings und Tatoos als Haut sagen, wenn mir dieser mit warmem Strahl gegen die Jacke pissen würde - und selbst dann würde ich noch ein schlechtes Gewissen haben. Mir kam der Gedanke, dass der arme Rezeptionist diesen eben geschilderten Fall wohl schon so oft erlebt haben musste, dass er inzwischen nicht mehr zwischen "Penner pisst mich voll" und "Kunde möchte gerne gegen Bezahlung in dem Etablissment nächtigen, für das ich arbeite" unterscheiden konnte. Vermutlich sind beide Fälle auch schon vermehrt gleichzeitig aufgetreten. Das wäre in dieser Gegend hier sicher nichts Unvorstellbares.
So schluckte ich meinen Ärger einfach hinunter (war ja noch genug Platz im Magen) und trug brav mein Anliegen vor. Der Herr hackte ein Weilchen auf seine Tastatur und schmiss kurz darauf, begleitet von einem bestätigenden Grunzlaut, einen Zettel mit einem Zahlencode auf den Rezeptionstisch. "Dritter Stock, den Gang ganz durch laufen, dann letzte Tür rechts. Frühstück gibt’s von sieben bis acht" nuschelte in seinen nicht vorhandenen Bart. Ich verzichtete auf eine Antwort, nahm den Zettel und erklomm die Treppen zum dritten Stock. Ob so ein Zahlencode wohl sicherer war als der obligatorische Hotelschlüssel? Ob sie die Zahlencodes wohl wirklich jedes Mal änderten, wenn ein Gast das Hotel verließ? Der Rezeptionist sah jedenfalls nicht so aus, als hätte er sich jemals dazu aufraffen können. Ich beschloss diese Gedankengänge besser bis morgen vor mir her zu schieben. Das gleiche hatte ich mit der Besichtigung und Benutzung der einzigen Toilette im Gang geplant. Ich würde sie erst betreten, wenn ich von ärztlicher Seite her bestätigt bekäme, dass ansonsten meine Nieren platzen.
Das Zimmer enttäuschte meine schlimmsten Befürchtungen dann schon ziemlich. Sah eigentlich alles recht ordentlich aus und es stand nicht mal etwas in Flammen. Das Zimmer hatte mindestens stolze 8 Quadratmeter vorzuweisen und war mit einem Bett, einem Sperrholzschrank, einem Waschbecken und einem Stuhl ausgestattet. Ein Fenster gab es darin auch, jedoch deprimierte der Anblick des müllüberschäumten Hinterhofs einen noch mehr als die kargen bilderlosen Wände des Zimmers. Demonstrativ hob ich meinen Trolli auf des für mich viel zu kleine Bett, öffnete den Reißverschluss und betrachtete den Inhalt. Ein Laptop, zwei paar Socken, ein Hemd, zwei T-Shirts, eine Jeans, der Kulturbeutel, meine externe Festplatte, ein Block, ein Stift, mein iPod inklusive Ladegerät, meine Fotokamera und ein Brief. Die einzigen Trümmer, die es Wert waren in mein neues Leben mitgenommen zu werden. Vielleicht ließe sich ja aus diesen Puzzleteilen ein neues Leben zusammenbauen.
Ich kramte die Zahnbürste und die Zahnpaste aus dem Kulturbeutel und setzte den Kofferinhalt wieder der Dunkelheit aus. Nachdem die Zähne brav gereinigt und die Hose ohne Zuhilfenahme der Hände in die Ecke geschleudert wurde, legte ich mich in das Bett. Es ist ein sehr unangenehmes Gefühl beim Versuch die Beine zu strecken auf halbem Wege auf das Bettende zu treffen. Ein Schicksal, das wir großen Menschen wohl immer und immer wieder erleiden müssen. Ich stellte meinen Handywecker auf 7 Uhr und bemerkte bei der Gelegenheit, dass darauf zwölf unbeantwortete Anrufe angezeigt wurden. Alle von meiner Schwester. Auch wenn die Gewissensbisse immer mal wieder wie kurzfristige Strohfeuer durch mein Innerstes fegten, hielt ich meine Entscheidung niemandem etwas von meiner Abreise zu erzählen, für richtig. Es gab ja auch noch gar nichts zu erzählen. Mit ein paar verschluckten Fischgräten lies sich in Zeiten des nachrichtentechnischen Dauerkriegsbilderbombardement kaum jemand vorm Ofen vorlocken. So sollten sie also alle hinterm Ofen hocken bleiben und mich schlafen lassen. Sonst würde das nichts mehr werden, mit dem Melden
Nuklohl - So, 7. Sep, 08:36